Donnerstag, 27. Juni 2013

Das Ende meiner Schulzeit!

Das letzte Schuljahr meines Lebens ist zu Ende. 12 Jahre lang habe ich Schule mit dem Blickwinkel einer Schülerin betrachtet. Nun habe ich auch 1 Jahr lang erlebt, wie es ist, wenn man vor der Tafel steht, anstatt mitten unter den Schülern hinter der Schulbank zu sitzen. Beide Erfahrungen haben mich manchmal gestresst und genervt, aber beide haben mir auch genau so viel Freude bereitet und mich so unendlich viel gelehrt. Ich glaube, würde ich nochmal in die Schule zurückgehen, ich würde weniger über von mir ungeliebte Lehrer schimpfen und die umso mehr schätzen, die trotz aufgeregter, quatschender oder langsamer Schüler ruhig bleiben und mit viel Geduld auf diese eingehen. Das ist nämlich gar nicht so einfach. Mutti erinnert sich mit Sicherheit noch daran, wie oft sie mich früher gebeten hat, doch ein bisschen ruhiger und geduldiger zu werden. Wenn ich zurückkomme, wird sie mir das sicher nicht mehr so oft sagen müssen, denn das habe ich hier gelernt.
Anfangs fiel es mir schwer, zu begreifen, dass einige meiner Schüler nicht mit dem Lernstoff mithalten konnten und trotz regelmäßiger Wiederholung und Übung das Gelernte eben einfach nicht in den richtigen Zusammenhang einordnen und im Gehirn abspeichern konnten. Mittlerweile habe ich aber etwas begriffen. Jeder Mensch hat eine andere Wahrnehmung. Und besonders die Schüler an FiSTA erfahren ihre Umwelt durch Schwächen wie Konzentrationsstörung, ADHS, Autismus, Bipolarität, Paranoia etc. in einer ganz speziellen, ihnen eigenen Art und Weise.  Sie nehmen Details intensiver wahr, empfinden Geräusche als lauter und Farben als kräftiger, sind also ständig abgelenkt. Und jetzt stellt Euch mal vor, Ihr müsst eine schwierige Aufgabe lösen. Die Musik ist laut aufgedreht, es riecht nach frisch gekochtem Essen, neben eurem Ohr surrt eine Fliege, jemand spielt unablässig mit seinem Kuli, das Licht über Euch flackert und von irgendwoher hört ihr Stimmen von lachenden Kindern. Könntet ihr Euch konzentrieren? Sicher nicht, und da kann der IQ noch so hoch sein. Ablenkungen, die wir meist nur für kurze Zeit ertragen müssen, erleben viele dieser Kinder die ganze Zeit. Und nachdem ich das einmal begriffen hatte, konnte ich ganz anders auf meine Schüler eingehen. Nachher lief es nicht automatisch besser, aber ich wurde entspannter, ausgeglichener und verzweifelte weniger schnell. Jeder Mensch hat eine andere Wahrnehmung, und das gilt für alle von uns. Ich glaube, wenn man auf andere Menschen eingehen will, muss man das verstanden haben. Nur weil ich etwas fühle, denke, glaube heißt das nicht, dass es meinem Gegenüber genauso geht oder gehen muss.
In der Schule wollte ich meine Schüler bestmöglich unterrichten und das war nicht immer einfach. Es ging nur, wenn ich mich wirklich mit ihnen auseinander gesetzt und versucht habe, zu verstehen, was sie denken und wie sie sich fühlen, ohne sie dabei zu verurteilen oder „abzustempeln“. Ich glaube, das ist etwas, was ich hier fürs Leben gelernt habe.
Jetzt, wo die Schule vorbei ist, arbeite ich als Betreuerin im Sommercamp von FiSTA. Wir haben ein Sommercamp für die älteren Jungen in den Bergen und eins für die Mädchen und jüngeren Schüler, das weiterhin an der Schule stattfindet. Tagsüber gibt es 40 Kinder zu betreuen, zum Schlafen bleiben nur 8. Ich bin hauptsächlich für die 8 verantwortlich, die dauerhaft da sind. Fast alle von ihnen kannte ich vorher gar nicht, denn sie sind extra für das Camp aus Jordanien, Saudi-Arabien oder Kuwait angereist. Und deshalb haben einige, besonders die Mädchen, gerade ziemlich dolles Heimweh und finden es hier gar nicht so schön. Das ist nicht ganz einfach, aber Tränen lassen sich ja trocknen und auch aus Wut kaputt gegangene Stühle kann man reparieren. Ich glaube, es wird ein schöner Sommer wenn sich erst mal alle eingelebt haben. Wir haben sogar einen richtig großen und zwei kleine Swimmingpools mit Liegeweise drum herum aufgebaut, damit ein bisschen Urlaubsgefühl aufkommt.  Und sobald wir den benutzen und nebenbei noch Musik anmachen, ist jedes Heimweh unter den Schülern vergessen und alle haben ein Lächeln im Gesicht.
Das einzig Doofe an dem Sommercamp ist, dass Siham und ich unser altes, chaotisches, gemütliches Zimmer räumen mussten. Siham muss jetzt als Betreuerin im Camp in den Bergen arbeiten und ich sehe sie kaum noch. Ich habe dafür ein eigenes Zimmer bekommen. Eigentlich sollte ich mich voll darüber freuen, aber ohne vor dem Einschlafen mit Siham zu quatschen und ihr nachts beim Reden im Schlaf zuzuhören, ist irgendwie ganz schön langweilig und tris. Wir haben ja nun ein Jahr lang alles geteilt,:unser Zimmer, unser Bad, selbst unsere Kleidung und Schuhe, unsere Freunde. Und da ich hier keine Gastfamilie oder so hatte, ist Siham meine Schwester geworden, die ich jetzt ganz schön vermisse. Ich weiß, dass ich mich dran gewöhnen muss, wenn ich zurück in Deutschland bin ist sie ja auch nicht immer da, um mit mir über die neusten Ereignisse im Libanon und der arabischen Welt zu diskutieren,  zu kochen oder einen –entschuldigt den Ausdruck- kleinen Tritt in den Hintern zu geben, damit ich endlich aufstehe.

Was den Libanon angeht, naja...die letzte Woche war nicht unbedingt fürderlich für die Situation. In Saida, einer Küstenstadt im Süden von Beirut, haben sunnitische Milizen einen Checkpoint angegriffen. Und die Armee hat im Libanon eine besondere Stellung. Das Volk steht geschlossen hinter der Armee, man respektiert die Soldaten, die Armee wird nicht nur geachtet, sie wird ge- und verehrt. Geht man an einem Soldaten vorbei, ist es zum Beispiel üblich, "Gott segne Dich, mein Volk" oder "Gott segne Deine Arbeit" zu grüßen um dessen Arbeit zu ehren. Wenn genau diese Armee also angegriffen wird, dann birgt das einiges an Konfliktpotential. Noch dazu, wenn mindestens 17 Soldaten bei den folgenden Kämpfen sterben und es über 100 Verletzte gibt. Die sunnitischen Angreifer unterstehen Scheich Assir. Ein sunnitscher Prediger, der besonders im Süden des Landes immer mehr Einfluss gewinnt und durch seine leidenschaftlichen Reden, in denen er regelmäßig gegen den Iran, Syrien und die Hizbollah wettert, als "Hardliner" bekannt geworden ist. Zusätzlich zu den Angriffen auf Checkpoints hat Assir in vielen Teilen des Landes Straßensperren errichten lassen und den Verkehr blockiert und teilweise ganz stillgelegt. Mittlerweile hat die Armee das Gebiet um Saida jedoch wieder unter Kontrolle gebracht und man hört nur noch wenig von dort.
Gestern hat dann noch eine Nachrichtenmeldung für Schock und ungläubiges Kopfschütteln gesorgt. Als einer der Beiruter Busse in der Nähe des Nationalmuseums anhielt, um neue Mitfahrer einsteigen zu lassen, stürmten 4 Männer den Bus und gingen mit Messern auf die Insassen los. Ohne jegliche Vorwarnung, ohne Grund. Mir fällt kein anderes Wort als Wahnsinn dafür ein. Das hat nichts mit Politik oder Religion oder inländischen Spannungen zu tun. Das ist purer Wahnsinn. Viele glauben nicht, dass Libanesen die Täter waren. In dieser eh schon kritischen Zeit liegt keinem Libanesen was daran, die Situation noch mehr zu gefährden. Und erst recht nicht durch so eine grundlose, unerklärlich aggressive Messerstecherei. Dabei wurden einige verletzt, gestorben ist -al hamdulilla- aber niemand.
Und ich muss zugeben, dass ich selbst mittlerweile auch vorsichtiger geworden bin und kaum noch richtig weg gehe. In den meisten Ecken ist es zwar ruhig, aber die Unruhen treten so plötzlich auf, dass ich mich nicht unbedingt dem dummen Zufall ausliefern will.
Aber ich hoffe immer noch, dass die Situation nicht eskaliert und sich wieder beruhigt. Und die Möglichkeit besteht, denn wenn ich den Berichten von einigen Freunden glaube, dann sind die libanesischen Sommer seit 2006 regelmäßig spannungsgeladen.
In dem Sinne sage ich Euch hier mal mit viel Hoffnung und Optimismus "Tschüss"! :)

1 Kommentar:

orientsonne hat gesagt…

Es ist wirklich erschreckend, was im Orient passiert - und wie der Westen alles tut, um die Situation noch weiter anzuheizen. Mir bleibt nichts als ein ungläubiges Kopfschütteln.