Die Zeit rast. Das ist mir in den letzten
Tagen und Wochen erst so richtig bewusst geworden. Noch 1 Woche und das
Schuljahr hier im Libanon geht zu Ende. Bis in einem Monat muss ich mir
überlegen, was ich in den nächsten Jahren mit meinem Leben anfangen will, denn dann ist Bewerbungsschluss für die meisten Unis.
Noch 1 ½ Monate und mein Auslandsjahr ist vorbei. Aber da vor der
Zukunft erst Vergangenheit und Gegenwart kommen, schreibe ich euch jetzt mal von den letzten, sehr geschäftigen Wochen hier im Libanon.
Die Raketenanschläge sind vorbei gegangen,
ohne dass hier der von vielen vorhergesagte Bürgerkrieg ausgebrochen ist. In
der Bekaa-Ebene hat es zwar noch mehrmals Raketen geregnet und auch in Tripoli
wird noch gekämpft, doch in Beirut ist es bis auf eine größere Demonstration
vor der iranischen Botschaft ruhig geblieben. Dass sich die Lage, die nach
außen hin recht ruhig scheint, trotzdem verändert hat, merkt man daran, dass
über unseren Köpfen jetzt öfter mal ein UN-Hubschrauber fliegt und nicht mehr
nur die israelischen Armeeflugzeuge. Oder auch daran, dass wir Freiwilligen
jetzt spätestens abends um 10 Uhr zurück sein müssen, wenn wir irgendwo
unterwegs waren. Und selbst einige von unseren Bekannten bleiben abends jetzt eher zu Hause als noch wegzugehen.
Das Chaos im Land ist (zum Glück!!) vorerst
ausgeblieben, dafür hat es in der Schule umso mehr Einzug gehalten. Letzte
Woche war zum Beispiel Prüfungswoche, in der jede Klasse in sämtlichen Fächern
Abschlussarbeiten geschrieben hat. Nebenbei mussten für jeden Schüler eine
Art Jahresabschlussbericht, ein extra Bericht für die Eltern und dann manchmal
noch einer für die Therapeuten geschrieben werden. Und gerade bereiten wir eine große Schuljahresabschlussfeier vor. Einige Schüler haben auch
noch an den libanesischen Schülerparalympics im Schwimmen teilgenommen und
waren super gut, in der Gesamtbewertung hat unsere Schule Gold erhalten! Außerdem haben wir zusammen mit einer anderen Schule einen Videoclip gedreht, der in ein paar
Medien hier ausgestrahlt werden und das Bewusstsein für seelen-pflegebedürftige
Menschen im Libanon wecken soll. Es ist kaum vorstellbar, aber wahr: Viele
Leute hier können kaum mit körperlich oder geistig beeinträchtigen Menschen
umgehen, da sie noch nie welchen begegnet sind, eine Integration in die
Gesellschaft findet kaum statt. Unsere Direktorin hat uns sogar erzählt, dass
viele Eltern ihre pflegebedürftigen Kinder richtiggehen wegsperren, weil sie
sich schämen und vor dem Urteil der Gesellschaft fürchten. Das ist
nicht nur erschreckend sondern wirklich traurig, denn wer schon mit diesen Menschen
gearbeitet oder gelebt hat, wird bemerkt haben, wie viel Licht und Freude sie
ins Leben bringen.
Über dieses Thema, also Heilpädagogik und die Integration von Seelen-Pflegebedürftigen
in die Gesellschaft, halten wir Freiwilligen nächste
Woche auch einen Vortrag vor dem Lehrerkollegium. Für unsere Arbeit hier war es
wichtig, dass wir uns mit diesem Thema beschäftigen und so haben wir Bücher und
Artikel gelesen, ein paar Vorträge angehört und einmal pro Woche mit unserer
Chefin zusammengesessen und darüber diskutiert. Unsere Erkenntnisse sollen wir
jetzt selbst in einem Vortrag verarbeiten. Aber schon allein das Wort „Vortrag“
klingt irgendwie trocken und zu sehr nach dem üblichen Schulkram, deshalb
wollen wir das Ganze als kleines Theaterstück aufbauen. Ich sag euch dann
nächste Woche, wie es geklappt hat ;)
Und dann gab es noch ein paar große
Veränderungen in unserer Residence. Vor 2 Wochen war ein Feng Shui Trainer an
der Schule und hat festgestellt, dass unser Raumklima ganz schlecht sei, unsere
Einrichtung löse eine ganz unangenehme Atmosphäre aus. Aber zum Glück
hatte er ein paar gute Tipps dabei, um das Problem zu lösen. Die Tipps
wurden dann in Windeseile in einer kleinen, spontanen Chaosaktion am
vorigen und diesem Wochenende umgesetzt. Letzten Freitag kam ich gerade von der
Arbeit, da hieß es: „Räumt ganz schnell euren Schrank aus, der muss umgestellt
werden“. Alle Kleiderschränke standen bis dahin aus Platzgründen immer im Flur vor den Zimmern. Jetzt stehen sie im Salon,
neben dem Fernseher. Wenn ich also duschen oder mich umziehen will, dann lauf
ich erst eine Runde durch den Flur und den Essensraum bis ich im Salon bin, wo
meistens jemand Fernsehen schaut und mir dann zusieht, wie ich aussuche, was ich
als nächstes anziehen will. Aber es wurden nicht nur Schränke umgeräumt. Auch
Tische und Sportgeräte und Essen und und und. Außerdem wurde großer Hausputz
gemacht und jetzt blinkt und glänzt alles hier wie neu.
Als Siham und ich dann gestern Morgen
aufgestanden sind, und uns in unseren Schlafsachen auf den Weg zum
Kleiderschrank machen wollten, wurden wir ziemlich ungewöhnlich begrüßt. Wir mussten
nicht mal unsere Zimmertür aufmachen. Die war nämlich schon auf, ein Maler
stand davor und war dabei, den Türrahmen in einem gute Laune weckendem Lila zu streichen. So wird man ja nicht jeden Morgen geweckt, aber ich kann
euch sagen, so eine Überraschung macht auf einen Schlag hellwach. Und wo die
Maler schon mal dabei waren, hat auch noch das Esszimmer eine neue Farbe
bekommen und strahlt jetzt in einem frischen grün.
Auch wenn ich die Art und Weise der ganzen
Neuerungen in der Residence bisschen ungewöhnlich fand, find ich ehrlich, dass
es hier wohnlicher geworden ist. Alles neu, alles frisch und alles schön. Der
Feng Shui Trainer hatte recht, jetzt bekommt man wirklich gute Laune wenn man durch unsere Residence geht. :)
Euch allen eine gute Woche!
Die Schüler waren unendlich glücklich und stolz auf ihre gewonnen Medaillen beim Schwimmwettkampf! :)
...unsere lila Tür :)
Beirut by Bike - was gibt es Schöneres, als im Sonnenschein am Meer entlang zu radeln?
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