Samstag, 23. Februar 2013

Ya Allah!

Ihr glaubt nicht, was ich gerade gesehen habe...
David und ich waren heute auf dem Wochenendmarkt in Beirut. Zurück haben wir den Bus genommen, aber da unsere Schule etwas abgelegen liegt, hat uns Majed mit dem Auto von der Haltestelle abgeholt und die letzten Kilometer gefahren. Ich saß hinten, war ziemlich kaputt und verträumt und hab nicht sonderlich auf die Umgebung geachtet. Bis David und Majed beide bisschen aufschreckten und  „Ya Allah!“ (Mein Gott!) riefen. Und dann hab ich’s auch gesehen: Ein vielleicht gerade mal 4 Jahre altes Kind stand da mit einem Gewehr in der Hand und zielte auf irgendwas in den Baumkronen. Und ich glaub nicht, dass das eine Spielzeugwaffe war. Neben dem Kind stand der stolze Vater und winkte unserem näher kommenden Auto total fröhlich zu. Ehrlich, ich war so wütend, ich wollte am liebsten aus dem Auto springen und dem Mann eine knallen. Ich bin mittlerweile schon gewohnt, dass Kinder hier nicht ganz so doll in Watte gepackt werden wie viele Gleichaltrige in Deutschland. Eltern lassen ihre Jungs mit 11, 12 Jahren schon mal das Autofahren in den weniger befahrenen Bergen üben, Kinder sitzen oft unangeschnallt im Auto und so weiter. Aber das heute hat mich umgehauen. Ich versteh’s auch einfach nicht. Gibt es keine anderen Wege einem Kind eine Freude zu machen und ihm ein aufregendes Erlebnis zu ermöglichen, als ihm eine Waffe in die Hand zu drücken und Vögel jagen zu lassen? Und es sah auch nicht so aus, als hätte das Kind die Waffe zum ersten Mal in der Hand. Ich frag mich, wie es die überhaupt halten konnte. Ich hab zwar keine Ahnung aber ich kann mir vorstellen, dass solche Dinger schon bisschen schwer sind.
Ich hoffe ich sehe den Vater und das Kind nochmal. Und ich hoffe, dann habe ich den Mut, hinzugehen und dem Kind die Waffe wegzunehmen.
Man sollte Kindern Liebe geben und keine Waffen.

P.s.: Ich weiß nicht, ob nur David und ich das so sehen, aber es ist schon ganz schön krass. Doch als ich die Geschichte grade in der Schule erzählt habe, kam irgendwie nur ein verwirrter Blick zurück, der so viel ausgedrückt hat wie „Ja, und?“  und ein Lachen, dass mir zu verstehen gegeben hat, dass ich wohl ganz schön naiv bin.

Montag, 11. Februar 2013

9 Einkaufswagen voll!

Yeah! Seit dieser Woche arbeite ich im Glasworkshop mit. Erstmal nur Mittwochs und Donnerstags jeweils von 12.30 bis 14.00, doch ich hoffe, dass ich irgendwann jeden Tag die letzte Schulstunde dort verbringen darf. Es macht unheimlich viel Spaß und ist total entspannt, weil höchstens 4 Schüler gleichzeitig da sind. Vor Aufregung habe ich mich trotzdem ein bisschen doof angestellt, muss ich zugeben. Unter den kritischen Augen der Schüler sind einige der Perlen zerbrochen und selbst das Telefon in der Werkstatt habe ich auf dem Gewissen. Aber alles nicht so schlimm, wie mir Abed, der Workshoplehrer und die Ruhe in Person, immer wieder versichert :) Trotzdem ärger ich mich ganz schön über jede zerbrochene Perle.
Sonst ist die letzte Woche gar nicht so viel passiert. Das Wochenende habe ich zusammen mit Dania, einer Schülerin, verbracht und war für sie verantwortlich. Am Samstag mussten wir beide dummerweise mit in den Supermarkt, den Monatseinkauf für unsere ganze Residence mitmachen. Und  das war...naja...nicht so 'ne schöne Wochenendbeschäftigung. 3 Stunden lang sind wir kreuz und quer durch den Supermarkt gerannt und haben alle Ecken nach Tee, Brot, Wischlappen, Shampoo, eben allem, was man so in einem Haushalt benötigt, abgesucht. Ich hatte das Gefühl, dass wir die Regale recht leer zurückgelassen haben. Kein Wunder, wir haben schließlich auch 9! Einkaufswagen gefüllt. Ich hab ja nix gegen shoppen, ganz im Gegenteil. Aber so'n Rieseneinkauf muss ich nicht unbedingt nochmal machen.

Dania und Abed. Beide fleißig dabei, schöne Perlen herzustellen. 

  Alles unsere!

Eurythmie. Eurythmie ist eine Bewegungskunst, die der Waldorflehre eigen ist. 

Meine Schüler, die ich nachmittags und abends in der Residence betreue. Es war ziemlich schwer, sie überhaupt zusammen auf das Foto zu bekommen und leider unmöglich, alle davon zu überzeugen, wie toll ein Bild ist. Mouhib wollte unter keinen Umständen mit auf das Foto.



Sonntag, 3. Februar 2013

Schlittschuhlaufen in den 4 Jahreszeiten

Gestern hatte ich eine sehr angeregte Diskussion mit einem libanesischen Freund, und zwar darüber, ob es im Libanon 4 Jahreszeiten gibt. Ich war bisher fest davon überzeugt, dass das gar nicht sein kann. Denn im Moment befinden wir uns zum Beispiel offiziell im Winter, und trotzdem sitze ich mit Sonnenbrille auf der Terrasse, lass die Sonne auf mich scheinen und genieße das total. So kann doch der Winter nicht sein, oder?
Und trotzdem sind die Libanesen überzeugt, 4 Jahreszeiten zu haben. Ich habe die laut meinem libanesischen Freund einfach nur noch nicht entdeckt, weil ich so auf meine bisherigen Vorstellungen fixiert war. Laut meinem Weltbild muss es im Winter kalt und eisig sein, im Frühling wird es langsam wärmer und die Blumen kommen raus, im Sommer ist es schön warm und sonnig und im Herbst fallen die Blätter von den Bäumen und es ist windig. Und weil das hier eben nicht genau so ist wie bei uns, bin ich der Meinung, es gäbe hier nur 2 Jahreszeiten. Weil es hier von April bis September warm bis heiß ist, habe ich diese gesamte Zeit als Sommer eingeordnet. Und die bisschen kältere regnerische Zeit von Oktober bis März ist für mich so 'ne Art Frühling oder Herbst. Ich bin also wirklich überzeugt, hier gibt es nur 2 Jahreszeiten. Gestern habe ich mir aber erklären lassen, dass ich da falsch liege. Winter bedeutet hier, dass es frisch ist, öfter regnet und in den hohen Bergen auch schneit. Im Frühling wird es dann warm, während es im Sommer heiß ist. Und im Herbst ist es noch immer recht warm, aber schon windiger. Das sind die 4 libanesischen Jahreszeiten. Ich glaube immer noch an nur 2 Jahreszeiten. Aber ich versteh auch die Einteilung der Libanesen. Mein libanesischer Freund hat mir gezeigt, dass es im Libanon doch auch Unterschiede zwischen den Jahreszeiten gibt, also ist auch hier die Einteilung in 4 Jahreszeiten legitim.
Vielleicht fragt ihr Euch jetzt, warum ich sowas belangloses schreibe. Ich mein, ob es nun 4 oder 2 Jahreszeiten sind, ist nicht unbedingt wichtig und die bloße Einteilung in Jahreszeiten ändert gar nichts, weder an dem Wetter noch an irgendetwas anderem. Vielleicht denkt ihr auch ich hab 'nen Sprung in der Schüssel, dass ich mir wegen sowas überhaupt Gedanken mach. Aber ich habe dadurch ein bisschen mehr verstanden, dass verschiedene Menschen auch unterschiedliche Erfahrungen machen und nicht immer unbedingt eine Vorstellung richtig ist. Können 2 verschiedene Vorstellungen nicht trotzdem auch beide zur gleichen Zeit richtig sein? Es kommt auf den Ausgangspunkt und den Betrachtungswinkel an. Das Beispiel mit den Jahreszeiten ist sicher auch auf andere Dinge übertragbar. Zum Beispiel auf Religion. Nur mal so nebenbei.

Und wenn wir schon mal bei Wind und Wetter sind: Die Woche war ich mit meiner Klasse ganz winterlich Schlittschuhlaufen, trotz knapp 20°C Außentemperatur. Wir waren in der einzigen Eishalle im ganzen Libanon und es war wirklich ein einmaliges Erlebnis. Unter anderem deshalb, weil kein einziger meiner Schüler schon mal Eislaufen war. Und obwohl wir 3 Lehrer für nur 10 Schüler waren, hatten wir alle Hände voll zu tun. Die Schüler waren so aufgeregt, und zwischenzeitlich leider auch ein bisschen am Verzweifeln. Ich glaube, jeder ist mindestens 5 Mal hingefallen, aber keine Angst, an Knie- und Ellbogenschützer haben wirr gedacht und niemand hat sich ernsthaft verletzt. Meine sonst so coolen Jungs sind auf einmal recht kleinlaut geworden und haben sich sehr gern helfen lassen. Einige wollten auch gleich zu Anfang aufgeben. Deshalb haben Sandra und ich schon darüber nachgedacht, "Schlittschulaufen" als Strafe für richtig schlimmes Benehmen, wie zum Beispiel Schlagen oder Beschimpfen, einzuführen. ;) Hat aber doch nicht funktioniert, weil wir die Schüler dazu überreden konnten, nicht aufzugeben sondern weiterzuüben. Und so wurden alle immer sicherer auf den Schlittschuhen und wir hatten am Ende richtig viel Spaß.


 Entgegen aller Erwartungen hat sich selbst Yousuf aufs Eis getraut! Und auch wenn er nicht allein auf den Schlittschuhen stehen konnte, sondern mehr gehalten werden musste, bin ich voll stolz auf ihn!
...in einem unbeobachteten Moment hat er sich sogar allein und ohne Schlittschuhe auf's Eis getraut ;) 



Mustafa überrascht mich immer wieder auf's neue. Sonst der coole Typ, dem die Schule total egal ist, der seine gesamte Freizeit für die Playstation opfert und wohl schon ein paar Tische und Stühle kaputt geschlagen hat (früher soll Mustafa richtig aggressiv gewesen sein, mittlerweile hat er seine Aggressionen  mit Hilfe von Therapie und leider auch Medikamenten aber gut unter Kontrolle), wird auf dem Eis ganz kleinlaut und ist dankbar über jede Hilfe. Aber nicht nur das ist überraschend. Mustafa's Freunde sind sonst eher die Jungs aus den älteren Klassen, aber jetzt ratet mal, um wen er sich seit ein paar Wochen rührend kümmert und bei wem er unendlich lieb wird? Bei Yousuf :) Mustafa hat einen super Einfluss auf Yousuf, weil Yousuf so auch lernt, mit anderen Kindern zu interagieren und bisschen offener zu werden. und Yousuf macht Mustafa zu einem richtig lieben, hilfsbereiten Jungen. 

Auf dem Eis ist es gar nicht so einfach, sich schön für ein Foto hinzustellen ;)

2 Eisprinzessinnen :) 


Meine neue Lieblingsbeschäftigung: Perlen herstellen im Glasworkshop. Es macht so viel Spaß und das Gefühl, die fertige, selbst hergestellte und hoffentlich schöne Perle in der Hand zu halten ist toll! Letzte Woche habe ich bei der Direktion gefragt, ob ich neben der Arbeit in der Klasse und der Residence auch in dem Workshop helfen darf, um ein bisschen Abwechslung zu haben und auch praktisch arbeiten zu können. Abed, der Workshoplehrer, und ich, fänden es beide voll cool. Drückt uns die Daumen, dass es genehmigt wird! 

Lieber Chris, wenn du das in Deutschland liest, dann grüßen wir 3 Dich ganz doll! Es waren 4 richtig schöne Wochen und du warst bisher wirklich der erste Praktikant, der uns allen  an der FISTA so ans Herz gewachsen ist. Pass auf dich auf  ;)