Donnerstag, 30. Mai 2013

Bumm.

Als ich vor ein paar Tagen die Nachrichten gegoogelt habe, sind mir 2 Überschriften sofort ins Auge gesprungen: „Syrien-Krieg hat den Libanon längst erreicht“ (Tagesanzeiger) und „Die Hisbollah macht den Libanon zum Schlachtfeld“ (Welt). Als ich diese und noch weitere Schlagzeilen deutscher Zeitungen gelesen habe, war ich ziemlich erschrocken. Denn es stellt die momentane Lage im Libanon recht dramatisch dar. Diese Überschriften klingen, als hätte der syrische Bürgerkrieg schon längst übergegriffen und als wäre nun der ganze Libanon betroffen und destabilisiert.
Ich versuche jetzt mal, euch meine Sichtweise und mein Erleben der Situation hier zu schildern. Klar kann ich das auch nur subjektiv machen und nicht den Anspruch erheben, dass meine Einschätzung die Richtige ist. Aber ich kann immerhin behaupten, dass ich mich auch in dem Land aufhalte, über das ich schreibe und damit näher am Geschehen dran bin als einige der Journalisten, die von Europa und Amerika aus berichten und damit auch ein bisschen ihrer Fantasie in ihre Artikel einfließen lassen, anstatt bloß die Fakten zu nennen.
Sicher wisst ihr, dass am Sonntagmorgen um 6 Uhr 2 Raketen in Beirut eingeschlagen sind. Dabei ist niemand gestorben, aber 5 Menschen wurden verletzt. Dieser Anschlag gilt als Reaktion auf eine Rede die Hassan Nasrallah, der Generalsekretär der Hizbollah, am Samstagabend gehalten hatte. In dieser Rede hat er sich nicht nur öffentlich dazu bekannt, dass die Hizbollah in Syrien an der Seite des Assad-Regimes mitkämpft, sondern Assad auch die volle Unterstützung der Hizbollah bis zum Ende garantiert. Des Weiteren hat er Assad zugesichert, dass er nicht stürzen werde. Als Antwort darauf wurden dann Raketen als "Gruß" in ein Beiruter Viertel gesendet, in dem hauptsächlich Schiiten wohnen. Niemand hat sich offiziell zu dem Anschlag bekannt, aber man kann davon ausgehen, dass er von syrischen Rebellen oder zumindest Gegnern des Assad-Regimes begangen wurde. Kurz nach dem Anschlag hat Idriss, der Führer der Rebellengruppe „Freie Syrische Armee“ 
(FSA) die Hizbollah dazu aufgefordert, ihre Kämpfer sofort aus Syrien zurückzuziehen, sonst würden
 weitere Angriffe auf die Hizbollah im Libanon folgen. Heute Morgen hat mir außerdem eine
Kollegin erzählt, dass im libanesischen Sender MTV gestern bekannt gegeben wurde, dass in 3 Tagen weitere Angriffe auf die Hizbollah geplant seien. Diese sollen natürlich hauptsächlich in Gebieten
stattfinden, wo Schiiten leben und die Hizbollah Einfluss hat. Das wären dann die Hochebene Bekaa im Nordosten des Landes, das hauptsächlich schiitische Viertel Dahiye in Beirut, in dem regelmäßig Ansprachen Nasrallahs in einem riesen Saal übertragen werden und große Teile im Süden des Landes.
Und trotz allem muss man sagen, dass die Leute hier das alles noch recht entspannt sehen und einfach ruhig abwarten, was in den nächsten Wochen passiert. Nach den Raketenangriffen gab es keine bedeutenden Aufstände, Demonstrationen oder Kämpfe, es hat sich alles sehr schnell beruhigt. Im Moment wird tatsächlich nur in Tripoli gekämpft. Und Tripoli kann man in gewisser Weise als Ausnahme sehen, denn nur dort leben Alawiten. Auch die Assad-Regierung ist alawitisch, von daher ist dort die Kluft zwischen Unterstützern und Gegnern des syrischen Regimes noch größer und das Konfliktpotential stärker.
Zusammenfassend kann man sicher behaupten, dass der Libanon gerade vor einer Zerreißprobe steht und es langsam ein bisschen „ungemütlicher“  und angespannter wird. All die syrischen Flüchtlinge, 
die vielen toten Hizbollah-Kämpfer, die jeden Tag bestattet werden und die Zersplitterung der 
Parteien und Konfessionen untereinander machen die Sache noch schwieriger. Und an dieser Stelle finde ich es wirklich wichtig zu erwähnen, wie sehr sich die politischen Führer des Landes bemühen, den Frieden zu bewahren. Es gibt in diesem Land 18 unterschiedliche Konfessionen und all die verschiedenen politischen Lager sind extrem gespalten bis verfeindet. Ich denke, da kann man sich vorstellen, wie schwierig es ist, ein gewisses Gleichgewicht aufrecht zu erhalten. Ich glaube kaum, dass ein europäisches Land in der Lage wäre, die innen- und außenpolitischen Herausforderungen, vielmehr Probleme, zu bewältigen.
Dass der Bürgerkrieg aus Syrien bisher noch nicht hier übergegriffen hat, verdankt das Land einem gemeinsamen Ziel, dass alle hier teilen: Man will keinen Krieg. Der Bürgerkrieg von 1975 bis 1990 und der Krieg mit Israel im Sommer 2006 haben ihre Spuren hinterlassen und die Menschen sind kaputt und müde von all den Kämpfen. Niemand will davon eine Wiederholung.
Jetzt können wir nur abwarten, ob die Bemühungen Erfolg zeigen oder ob der fragile Frieden nun doch durch den syrischen Bürgerkrieg und die damit verbundenen Ereignisse zerbricht. Aber ich fühle mich hier auf jeden Fall noch sicher.
Eins möchte ich noch loswerden, da ich im Internet ein bisschen über die Diskussion gelesen habe, ob man nun Waffen an syrische Rebellen liefern soll oder nicht. Wie können denn westliche Politiker das Eingreifen der Hizbollah in Syrien verurteilen und gleichzeitig ihr eigenes Einmischen durch Waffenlieferungen an Rebellen rechtfertigen? Wie können sie denn vorhersehen, dass die jetzigen syrischen Rebellen nach Assads Sturz in der Lage sein werden, dass Land gut zu regieren und Menschenrechte nicht mit Füßen zu treten? Man sollte bedenken, dass unter den syrischen Rebellen al-Qaida und al-Nusra-Mitglieder, Salafisten und Extremisten kämpfen, die der Westen doch sonst gar nicht gern hat. Die Waffen, die der Westen eventuell liefern wird, werden Menschen verletzen und töten. Und woher nimmt man das Recht, über Leben und Tod eines anderen Menschen zu entscheiden?
Man kann doch nicht einerseits die syrischen Kämpfe, all das Morden und Töten verurteilen und es dann selbst fördern. Falls der Westen nun auch offiziell in Syrien eingreift, dann sicher nicht aus purer Nächstenliebe und um das Leiden der Menschen dort zu beenden. Sondern schlicht und einfach um politische Interessen zu wahren.


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